Erinnerungsort und Trauerarbeit

Sternenkinder: „Sie sind in unserer Mitte“

AUGSBURG – Erinnerungsorte für Sternenkinder sind heute überall in Deutschland zu finden. Das sah in früheren Jahrzehnten noch ganz anders aus. Daran erinnerte Elisabeth Strätling-Busch, Leiterin der katholischen Kita Christkönig im Augsburger Stadtteil Hammerschmiede, bei der Segnung des Sternenkinder-Erinnerungsorts vor dem Eingangstor der Kindertagesstätte.

Direkt vor der Westwand der Kirche Christkönig und am Weg, den Eltern und Kinder jeden Tag zur Kita entlanggehen – die Stele, eingebettet in ein kleines Blumenbeet und mit einer sichelförmigen Bank davor, ist präsent. „Die Sternenkinder sind durch den Erinnerungsort neben der Kirche da, wo wir sie sehen: in unserer Mitte“, sagte Strätling-Busch. 

„Für Gott ist keines dieser Kinder verloren!“, betonte Pfarrer Michael
Kratschmer. Er zitierte den Autor des „kleinen Prinzen“, Antoine de Saint-Exupéry: „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen. Sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Das Team, das den Erinnerungsort gestaltet hat, war ganz in diesem Sinne nicht nur mit Engagement und Leistung, sondern auch mit Herzblut bei der Sache.

Nach der Segnung der Stele wurden Fürbitten für die Sternenkinder, ihre Eltern, Geschwister und Verwandten, für die begleitenden Ärzte sowie für kinderlose Paare vorgetragen. 

Tränen in den Augen

Das Wetter spielte an diesem 15. Oktober, dem Tag der Sternenkinder, nicht so gut mit, aber schließlich schickte Petrus doch noch ein paar Sonnenstrahlen. Die Tränen in den Augen einiger Mütter vermochten diese aber nicht zu trocknen. Eine von ihnen trug den Gedanken vor, dass ihr Kind ein Stern sei, „der immer einen Platz in unseren Herzen hat“, stockte dabei mehrmals und hielt mühsam ihre Tränen zurück.

Dennoch bedeutet allen der Gedenkort für ihre Erinnerungen, so schmerzlich sie auch sind, sehr viel. „Ich finde es schön, dass es jetzt hier einen Platz für Familien gibt, die sonst keine Anlaufstelle haben“, sagt Birgit Senning, Erzieherin in der Kita. Sie verlor 2013 ihren Sohn im fünften Monat. „Man kann es gar nicht fassen, Herz und Kopf gehen da auseinander“, beschreibt sie ihre Gefühle. 

„Innerlich mitgestorben“

Zwei Wochen lang lag sie nach einem Blasensprung zwischen Hoffen und Bangen im Krankenhaus. Doch das Baby überlebte nicht. Sie nannten es Valentin, da es um den 14. Februar herum verstarb. „Es war dann, als ob ein Teil meiner Seele gegangen wäre. Ich bin innerlich mitgestorben“, erinnert sich Birgit Senning. Auch ihr älterer Sohn, damals drei Jahre alt, bekam alles mit. „Ihm ist bis heute der Platz seines Bruders Valentin in unserer Familie sehr wichtig“, sagt die Mutter.

Die Stele entworfen hat Pfarrhaushälterin Petra Miller. Für Metallbau und Statik war Harald Mittelhammer zuständig. Die Ausführenden waren Reinhard Dietsche und Karlheinz Finkel. Die Ehrenamtlichen schufen den Ort in Eigenleistung, was die Kosten erheblich minimierte. Finanziert wurde das Projekt von der Arge Hammerschmiede (ein Zusammenschluss der dortigen Vereine) und dem Bistum Augsburg. Die Initiative ging von einem in der Kita gegründeten Arbeitskreis aus. Angestoßen hat ihn Kitaleiterin Strätling-Busch, selbst Sternenkind-Mutter. 

„Unser Sohn Lukas kam 2005 in der 27. Woche nach zehnstündigen Wehen zur Welt. Er war im Mutterleib verstorben“, berichtet sie von ihrem persönlichen Verlust. „Die ersten zwei Jahre waren für uns Eltern ganz schlimm und ich brauchte zehn Jahre, um darüber sprechen zu können, ohne in Tränen auszubrechen.“ Dankbar war sie dafür, dass ihr Sohn gemeinsam mit einigen anderen früh- und totgeborenen Kindern feierlich und andächtig zu Grabe getragen wurde. „Ältere Frauen aus meiner eigenen Familie, aber auch aus der Nachbarschaft kamen zu Besuch, um uns zu trösten“, erinnert sich Strätling-Busch. 

Entsorgt statt beerdigt

Dabei erfuhr sie, dass der Trauerprozess früher nach einer Sternenkindgeburt unterdrückt wurde. „Männer durften nicht bei der Geburt eines Sternenkinds dabei sein. Die verstorbenen Kinder wurden den Eltern nicht gezeigt und in der Klinik entsorgt statt beerdigt.“ Sie habe schon oft erlebt, wie diese traumatischen Erlebnisse in älteren Frauen nach Jahrzehnten wieder hochkommen und die Bewältigung einer Sternenkind-Geburt dann erst einsetzt.

Die Kitaleiterin erkannte, dass die Trauerarbeit beim Verlust eines Sternenkindes sehr wichtig ist, damit das weitere Leben für die Familien ohne unverarbeitete Traumata gelingen kann. Als sie dann vor neun Jahren die Leitung der Kita Christkönig übernahm und auf Kolleginnen und Eltern traf, die ebenfalls Sternenkinder zur Welt gebracht hatten und versuchten, mit ihrer Trauer zurechtzukommen, entstand die Idee für den Erinnerungsort.

Individuelle Erinnerungssteine

Mit dessen Segnung sieht der Arbeitskreis seine Arbeit im übrigen nicht als beendet an: „Wir wollen nun jedes Jahr zum Tag der Sternenkinder eine Gedenklesung organisieren“, kündigt Elisabeth Strätling-Busch an. Der Ort selbst sieht dann möglicherweise immer wieder anders aus: Familienangehörige von Sternenkindern sind ausdrücklich eingeladen, hier einen individuell gestalteten Erinnerungsstein für ihr eigenes Kind abzulegen.

Victoria Fels